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Die Hunde von Weissenstein
Von Alexander Schöppner
Aus dem Buch von Josef Fendl:

Historische Erzählungen aus dem Bayerischen Wald, 1981

Vor vielen Jahren hauste auf dem Weißenstein ein reicher und mächtiger Graf. Noch jung an Jahren führte er ein liebreizendes Edelfräulein als Gattin heim und lebte mit ihr in Freuden und Herrlichkeit. So schön aber die Gräfin war, so hochfahrend war ihr Sinn und so verschlossen ihr Herz gegen den Jammer der Armen. Eines Tages lustwandelte sie mit ihren Jungfrauen in den Fluren des Schlosses. Da saß eine Bettlerin am Wege und flehte um eine milde Gabe. „Sieben Kinder“, sprach sie, „habe ich zu Hause, aber keinen Bissen Brot.“ Die Gräfin entgegnete: „Was brauchst du Kinder zu empfangen, wenn du kein Brot hast, sie zu ernähren?“ Damit ging sie hohnlachend vorüber. Das arme Weib, empört von den schnöden Worten, rief ihr nach: „Die Frucht deines Leibes soll mich an dir rächen!“

Die Gräfin fühlte sich eben Mutter, und darum ging ihr der Fluch der Bettlerin doch zu Herzen. Also gebot sie ihren Leuten, eine Zigeunerin herbeizuholen, um von dieser ihr Schicksal zu hören. Das Weib erschien, fasste die weiße Hand der Gräfin, beschaute lange die zarten Linien derselben und ließ sich endlich in feierlichem Tone vernehmen: „Ehe der Mond siebenmal voll wird, wirst du sieben Knaben gebären – die nach dem Erstgebornen kommen werden, werden dir den Tod bringen – aber noch  nicht in der Stunde der Geburt, sondern erst nach sieben Jahreswechseln – und die Muttermörder wird des Vaters Fluch nicht treffen.“

Diese verhängnisvollen Worte erfüllten die Gräfin mit banger Sorge und verbitterten ihr das Leben. Doch entzog sie den Augen der Welt ihren Kummer, und nur die Vertrauteste ihrer Kammerfrauen erfuhr das Geheimnis, welches ihr am Herzen nagte. Die arglistige Dienerin wusste Rat. „Man müsse“, sagte sie, „doch erst zuwarten, ob es auch mit den sieben Kindern seine Richtigkeit haben werde. Bewähre sich dann der Schicksalsspruch, so müsse man dessen weiterer Erfüllung dadurch vorbeugen, dass man die Nachgeborenen aus dem Wege räume; denn keine Macht im Himmel und auf Erden könne eine Mutter verpflichten, in den eigenen Kindern ihre Mörder heranzuziehen.“

Die Gräfin, welche sich vor dem  Gedanken entsetzte, das Leben durch die Hand ihrer leiblichen Söhne verlieren zu sollen, ließ sich dem bösen Rat gefallen und traf mit der Kammerfrau heimlich die nötigen Vorkehrungen, um für alle Fälle bereit zu sein. Inzwischen ward der Graf von seinem Landesherrn ins Feld gegen die Hussiten entboten, welche um selbe Zeit mit Macht das Reich angegriffen hatten. Dadurch bekamen die beiden Weiber vollends freies Spiel. Einige Wochen nach der Abreise des Grafen kam die Burgfrau in das Kindbett und genas von sieben Söhnen, wie ihr vorhergesagt worden. Es fügte sich aber, dass am nämlichen Tage der Graf von dem unerwartet schnell beendigten Kriegszuge heimkehrte. Er war, von einem einzigen Diener begleitet, seinen Reisigen um eine Tagfahrt vorangeeilt, und als er nun in der Abenddämmerung dem Schlosse zuritt, gewahrte er eine Frauengestalt, die über die Talwiesen an den Fluss hinschlich. Heransprengend erkannte er die Kammerzofe seiner Frau und sah, dass sie am Arme einen großen Henkelkorb trug. „Was machst du hier in so später Stunde?“ rief er sie an. Die Zofe, zum Tode erschrocken, konnte kein Wort über die Zunge bringen. „Rede!“, gebot der Graf, „sonst muss ich glauben, dass du mich bestehlen willst. Was trägst du in diesem Korbe?“  „Ich?“ – im Korbe?“ stotterte die Zofe – „junge Hunde; ich soll sie im Flusse ersäufen.“ „Junge Hunde?“ wiederholte der Graf: „Ei, lass doch sehen, ob ich keinen davon für meine Meute brauchen kann.“ Dabei stieß er mit dem Schafte seiner Lanze den Deckel auf, und siehe da – sechs wunderholde Säuglinge lagen im Korbe beieinander. „Weib,“ schrie der Graf, sich aus dem Sattel schwingend und auf die Kammerfrau zustürzend – „was ist’s mit diesen Kindern? Bekenne, oder ich bohre dich nieder!“ die Elende sank in die Knie, flehte um Gnade und versprach, alles zu gestehen. Mit zitternder Stimme erzählte sie nun dem staunenden Grafen den ganzen Verlauf der Dinge, von dem Vorfall mit dem Bettelweib bis auf die jüngste Stunde, da der Gräfin Niederkunft erfolgt war. „Und als die sieben Knaben zur Welt waren,“ schloss sie die Beichte, „gebot mir die gestrenge Frau, den Erstgeborenen säuberlich in die Wiege zu legen, die jüngeren Brüder aber zum Regenflusse zu tragen und in dessen Tiefe zu versenken.“ „Und du dienstfertige Seele, schnaubte der Graf, „konntest nicht genug eilen, den Mordbefehl zu vollziehen. Zum Lohne geschehe dir, wie du meinen Kindern zu tun vorhattest. Auch für die andere wird die Stunde der Vergeltung schlagen.“ Er winke seinem Knappen; der ergriff die Helfershelferin mit nerviger Faust, schleppte sie, wie sehr sie sich sträubte, an den Regen hinab und stieß sie vom Ufer ins Wasser.

Mittlerweile hatte der Graf wieder sein Pferd bestiegen und gebot dem Knappen ein gleiches zu tun. Dann ritt er, den Korb mit den Säuglingen sorgsam unter dem Mantel bergend, einer Burg zu, die tiefer im Böhmerwaldwalde sein eigen war. Dort angelangt, übergab er die Kinder dem treuen Schlossvogte mit dem Auftrage, ungesäumt Ammen herbeizuschaffen und die Kleinen getreulich zu pflegen und zu erziehen, bis er weitern Befehl erhalte. Auch mussten der Vogt und der Knappe in seine Hand einen treuen Eid schwören, von dem Vorgefallenen gegen niemanden, wer er auch sei, ein Wörtlein verlauten zu lassen.

Nachdem der Graf die Sachen also aufs beste bestellt hatte, kehrte er spornstreichs nach Weißenstein zurück, das er am andern Tage in der Morgenstunde erreichte. Er begrüßte seine Gemahlin mit anscheinender Herzlichkeit, liebkoste seinen Erstgebornen und gebärdete sich so froh und wohlgemut, dass niemand ahnen konnte, welch tiefes Leid er mit sich herumtrug. Bald darauf wurde von den Landleuten ins Schloss gemeldet, man habe die Leiche der Kammerzofe auf einer Sandinsel des Regen gefunden, was die Gräfin nichts weniger als ungern vernahm, denn nun war ja die einzige Mitwisserin ihres Verbrechens auf ewig verstummt. Sie glaubte, jene sei bei der Tat im Flusse verunglückt. Als sie aber das Wochenbett verlassen hatte und ihren Gatten wieder mit Beweisen der ehelichen Zärtlichkeit erfreuen wollte, ward sie zu ihrer Verwunderung von ihm kalt, aber höflich zurückgewiesen, unter dem Vorgeben, er habe in der Schlacht gegen die Hussiten, wo es ihm nahe ans Leben gegangen, das Gelübde getan, sieben Jahre lang kein Weib zu berühren. Das musste sich die Gräfin wohl oder übel gefallen lassen.

Nachdem aber diese Zeit nahe abgelaufen war, sagte der Graf zu seiner Frau: „Ich will den Tag, da ich dir deine Liebe wieder vergelten kann, mit einem Feste begehen und dazu unsere Verwandten und Freunde laden. Rüste also ein großes Mahl aus, damit dem Hause Ehre widerfahre.“ Die Gräfin tat, wie ihr geheißen, und in der bestimmten Stunde füllte sich die große Halle des Schlosses mit Rittern und Edelfrauen, die als Gäste zu dem von ihr bereiteten Mahle kamen. Das Essen war unter Scherz und Lachen vor sich gegangen, als beim Nachtische der Graf vom Stuhle aufsprang und mit ernster Miene die Frage an die Versammelten richtete: „Ritter und Frauen sagt an, welche Strafe verdient eine Mutter, die die Frucht ihres eigenen Leibes morden will?“ Alles schwieg betroffen von der unerwarteten Rede, nur die Gräfin – und zweifelsohne hatte ihr eine höhere Macht die vorschnellen Worte auf die Zunge gelegt – erwiderte: „Eine solche Rabenmutter verdient, dass man sie lebendig einmauere.“  „Weib!“, rief ihr der Graf mit niederschmetternder Stimme zu, „du hast dir selbst das Urteil gesprochen!“  Auf ein Zeichen rollte jetzt ein Vorhang im Hintergrunde des Saales auf, und man sah auf einer kleinen Erhöhung die sechs Nachgeborenen, liebliche, rotwangige Knaben mit ihren Ammen stehen. „Siehe!“, fuhr der Graf fort, „diese sind deine Kinder, die du wie junge Hunde wolltest ertränken lassen.“  Hierauf erzählte er den bestürzten Gästen alles, was sich begeben. Wohl flehten die Knaben um Gnade für ihre unnatürliche Mutter und vereinigte sich mit ihrer Vorbitte die aller Anwesenden, aber die Gräfin selbst bestand auf der Vollstreckung des Urteils und rief: „Mir geschehe nach meinen Worten! Ich will hienieden die Strafe für meine Missetat, damit ich jenseits einen gnädigen Richter finde.“  Und nachdem sie reuevoll gebeichtet und die heilige Wegzehrung empfangen, ward sie in ein Kämmerlein unter dem Turm geführt und dort lebendigen Leibes eingemauert. Der unglückliche Gemahl aber verließ mit den Seinigen zur Stunde den Schauplatz dieser traurigen Ereignisse; Schloss Weißenstein verfiel nach Jahren in Trümmer. Auf dass aber ein warnendes Andenken in der Familie erhalten bleibe, nahm der Graf das Bild eines Hundes ins Wappenschild und nannte sich fortan Graf Hund zu Weißenstein.


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